Antje Bek
DIE FOLGEN DER EIGENEN TATEN
Der Pädagoge Heinrich Pestalozzi

Bei diesem Beitrag wird vorausgesetzt, dass sich diejenigen, die sich darüber ein Urteil erlauben wollen, mit den Grundzügen von Reinkarnation und Karma beschäftigt haben, wie sie als Ideen von Rudolf Steiner entwickelt wurden. (Wer sich in dieses Thema einlesen möchte, dem sei folgende Lektüre empfohlen: Rudolf Steiner, Wiederverkörperung und Karma und ihre Bedeutung für die Kultur der Gegenwart, GA 34.) Ich hoffe allerdings, dass dieser Beitrag auch für jene verständlich ist, denen dieses Thema zwar neu ist, die aber dafür aufgeschlossen sein können.
„Pestalozzi“ – der Sklaven-Aufseher
Es wird begonnen mit der Darstellung einer Situation, die sich im 1. Jahrhundert vor Christus zugetragen hat. Rudolf Steiner schildert einen Sklaven-Aufseher, die, wie Rudolf Steiner beschreibt, durchaus gebildete Menschen in ihrer damaligen Zeit waren. Dieser Sklaven-Aufseher hatte eine Gruppe von Sklaven zu beaufsichtigen und zu befehligen. Er war, wenn er sich selbst folgte, eine durchaus liebenswürdige und auch milde Persönlichkeit, er hatte eigentlich den Willen den Sklaven das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
Der Sklaven-Aufseher folgt seinem Chef
Sein „Chef“, der Sklaven-Halter war dagegen eine ehr brutale und raue Persönlichkeit, die ebensolche Befehle erteilte. Der ihm untergebene Sklaven-Aufseher folgte gemäß der damaligen Sitte, wenn auch widerwillig, diesen brutalen Befehlen und setzte sie in der Behandlung der Sklaven um. Er handelte damit gegen seine eigene Natur. „Diese Seele (der Sklaven-Aufseher, Anm. d. Verf.) war also nicht das, was sie hätte sein sollen, sondern im Grunde genommen hatte sie tiefes Mitleid, tiefe Liebe mit all den unglücklichen Sklaven, an denen sie die Grausamkeiten vollziehen mußte.“1 Rudolf Steiner schildert nun das Schicksal des Sklaven-Halters (Chef), des Sklaven-Aufsehers (später Pestalozzi) und dessen Sklaven über zwei weitere Inkarnationen (Wiedergeburten). Es soll hier nur auf die letztere eingegangen werden. (2)
Zwei Inkarnationen weiter
Der Sklaven-Aufseher, der mit Widerwillen die Befehle seines Chefs (des Sklaven-Halters) umgesetzt hatte, wird – in der übernächsten Inkarnation – als der berühmte Erzieher Johann Heinrich Pestalozzi wiedergeboren, die Sklaven als seine Schüler. Pestalozzi nimmt sich jetzt dieser Kinder ganz besonders an und erzieht sie mit Milde und großer Begeisterung; diesen Eindruck hinterlässt auch die Skulptur, die oben auf dem Foto zu sehen ist. Dadurch – so Rudolf Steiner – sei dann der karmische Ausgleich zwischen ihm und den Kindern erzielt worden. Schauen wir uns die Ausgangssituation an, so können wir sehen, dass zwar der brutale Sklavenhalter die größte Verantwortung für die grobe Behandlung
der Sklaven trug, dass aber auch der ihm untergebene Sklaven-Aufseher – später Pestalozzi – dafür verantwortlich war und sich daher etwas auf sein „karmisches Konto“ geladen hatte, was später wieder ausgeglichen werden musste, indem er jetzt zum Erzieher, zum hingebungsvollen Erzieher der Kinder wurde, die ihm früher als Sklaven anvertraut waren.
„Schwierige Kinder“
Diese Tatsache kann für Pädagogen eine gewisse Bedeutung haben. Rudolf Steiner wird sich etwas dabei gedacht haben, dass er auf die Biografie Pestalozzis eingegangen ist, in seinen Vorträgen saßen auch (Waldorf-)lehrer. Die eindrückliche Schilderung des Schicksals Pestalozzis kann diejenigen, die sich darauf einlassen mögen, dazu veranlassen sich zu fragen, in welcher Beziehung sie selbst zu den ihnen anvertrauten Kindern in vergangenen Inkarnationen gestanden haben? Dabei soll es nicht um Spekulationen, aber um Möglichkeiten gehen. Wer in Richtung dieser Möglichkeit denkt und fühlt, die für das Schicksal Pestalozzis und der ihm anvertrauten Kinder ausschlaggebend war, kann sich immer von Neuem ermutigt fühlen, sich als Pädagoge mit ganzer Liebe den Kindern zuzuwenden, auch denen oder besonders denen, die einem „Schwierigkeiten“ bereiten.
Individuelle Freiheit
Wir wenden uns nun noch den mehr inneren Umständen dieser „Inkarnationsreihe“ zu: Es gab einen Menschen, den Sklaven-Aufseher, der gebildet war, der innerlich bestimmte Qualitäten, auch moralische Qualitäten ausgebildet hatte. Aufgrund von Befehlen „von oben“ sowie der damaligen sozialen Umstände folgte er jedoch seiner eigenen inneren Natur nicht. An dieser Stelle unterbricht Rudolf Steiner kurz seine Schilderungen und richtet folgende Frage an die Zuhörer:
Denken Sie sich nur: Sind denn heute die Menschen immer so, wie sie heute eigentlich sein wollen? Sie denken eben nicht nach, ob sie so sind, wie sie sein sollten. Dadurch belügen sie sich über die Disharmonie zwischen dem, was sie sind, und was sie sein möchten. (3) Rudolf Steiner
Stehen wir nicht auch heute (wieder) Situationen gegenüber, in denen wir uns zu bestimmten Taten oder Äußerungen wie gezwungen fühlen, die im Grunde unserem eigenen, inneren Wesen widersprechen? Stehen und standen nicht auch viele unserer Mitmenschen in dieser Situation? Ist nicht zu erwarten, dass diese Situationen auch in Zukunft auf uns zukommen werden? Welchen Weg der Einzelne auch wählt, die Verantwortung für sein Handeln wird er nicht anderen Menschen oder den Umständen zuschieben können. Auf der anderen Seite können wir aus den Umständen heraus Verständnis entwickeln für das Handeln anderer, auch wenn es in krassem Widerspruch zu unserem eigenen stehen. Wer würde den Sklaventreiber, der später Pestalozzi wurde, für sein Handeln verurteilen wollen?
Frei ist nur der Mensch, insofern er in jedem Augenblicke seines Lebens sich selbst zu folgen in der Lage ist. (4) Rudolf Steiner
so Rudolf Steiner in der „Philosophie der Freiheit“. In diesem Sinne haben wir alle die Möglichkeit auf dem Weg zur Freiheit zu sein, auch oder gerade in der jetzigen Zeit. Folgen wir uns selbst, wachsen uns Kraft und Stärke zu und wir ermutigen damit auch andere, immer mehr zu werden, wer sie eigentlich sind.
Literatur
1 Rudolf Steiner: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band V, GA 239, S. 264
2 Anmerkung: Rudolf Steiner schildert diese Inkarnationsreihe in GA 236, S. 48ff und GA 239, 264 ff.
3 Rudolf Steiner: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band V, GA 239, S. 265
4 Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit, GA 004, S. 130
Fotos: Roland Zumbuehl - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0