Der christlich-esoterische Impuls der Waldorfpädagogik
- Dr. Christoph Hueck

- vor 7 Stunden
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Ist die Zeit für esoterische Themen in der Schule gekommen?
Von Christoph Hueck

Editorial erWACHSEN&WERDEN 12/25
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Dieses Heft erreicht Sie in der Adventszeit, und vielleicht blicken auch Sie erwartungsvoll auf das herannahende Weihnachtsfest und freuen sich auf die Oberuferer Weihnachtsspiele, die immer noch an vielen Waldorfschulen und in manchen anderen anthroposophischen Einrichtungen aufgeführt werden. Das ist eine wunderbare Tradition, die auf Rudolf Steiners Anregung und tiefe Liebe zu diesen herzinnigen Spielen zurückgeht.
Die Waldorfpädagogik ist ja von jahreszeitlichen (bei uns: von christlichen) Festen durchzogen: Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Johanni, Michaeli, Advent. Immer versuchen wir, den Kindern und Jugendlichen etwas von dem erhebenden Glanz zu vermitteln, der von der spirituellen Bedeutung dieser Feste ausgeht, und es ist ein großes Geschenk der Anthroposophie, dass sie diese Bedeutung auch für den rational „aufgeklärten“ Menschen erschließen und sogar wesentlich vertiefen kann.
Nun gibt es allerdings in waldorfpädagogischen Zusammenhängen Stimmen, die am liebsten ganz auf diese esoterische Seite der Pädagogik verzichten möchten, ja, die diese Seite sogar für überflüssig erklären. So wird seit einigen Jahren von Jost Schieren, Professor an der Alanus Hochschule im Bereich Bildungswissenschaft, immer wieder behauptet, dass die Waldorfpädagogik ohne die esoterische Seite der Anthroposophie auskommen könne, ja sogar solle. Steiner habe, so Schieren jüngst in einem Artikel der Zeitschrift „Erziehungskunst“, „betont, dass in die Waldorfpädagogik keine anthroposophischen Inhalte einfließen dürfen, also keine Engellehre, keine spirituelle Kosmologie, keine Christologie und auch keine substanzielle Reinkarnations- und Karmabetrachtung.“
Tatsächlich ist die Waldorfschule keine „Anthroposophie-Schule“, es wird nicht Anthroposophie gelehrt, sondern junge Menschen werden gebildet. Aber das heißt nicht automatisch, dass die Anthroposophie nicht in die Waldorfpädagogik „einfließen“ solle. Im Gegenteil, wenn man genauer liest, findet man deutliche Aussagen Rudolf Steiners, dass sich Waldorflehrer „im tiefsten Sinne“ mit Anthroposophie beschäftigen, ja sich damit „durchdringen“ sollten. Denn die Waldorfpädagogik hat einen kulturpädagogischen, spirituellen Auftrag: Das Geistig-Seelische der Menschen, das immer mehr im Materialismus versinkt, wieder „herauszureißen“ und so „die Seele zu retten“.
Wenn es tatsächlich wahr wäre, was Schieren schreibt, dann sollte man konsequenterweise auch auf das Feiern der christlichen Jahresfeste an Waldorfschulen verzichten – Halloween statt Michaeli wäre da zum Beispiel eine durchaus weniger verfängliche Alternative. - Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Schierens Forderung finden Sie in dem Beitrag von Martin Cuno in diesem Heft.
Man könnte sich nun aber auch auf den Standpunkt von Steiners Freiheitsphilosophie stellen – für die Schieren nachdrücklich plädiert – und sagen: Ich achte Rudolf Steiners Zurückhaltung, bezüglich anthroposophischer Unterrichtsinhalte, aber ich entscheide selbst, ob und wie viel anthroposophische „Esoterik“ ich in meine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen „einfließen“ lasse. Persönlich bin ich sogar davon überzeugt, dass die Zeit gekommen ist, gerade auch über „esoterische“ Themen in der Schule zu sprechen, vor allem aber auch unter Kollegen und in der Lehrerbildung. Aber auch Schülerinnen und Schüler sollten - sofern es sie interessiert – mit einem „alternativen“, geistigen Verständnis der Welt und des Menschen, mit der Unsterblichkeit der Seele, der karmischen Wirkung ihrer Taten, der kosmischen Evolution aus dem Geistigen, der Bedeutung des Christus-Impulses, und überhaupt des heute möglichen Erkenntniszugangs zur geistigen Seite der Wirklichkeit bekannt gemacht werden. Denn der Materialismus sinkt früh und tief in das Unterbewusste ein, und gegen seine lähmende und seelen-zersetzende Tendenz müssen Unterricht und Erziehung einen kräftigenden und heilenden Impuls vermitteln. Ich meine, dass die esoterische Seite der Anthroposophie in der Waldorfpädagogik mehr als private Glaubensangelegenheit ist - siehe hierzu den Beitrag von Andreas Neider in diesem Heft.
Nun kann es natürlich nicht darum gehen, dass Waldorfschüler Anthroposophie „lernen“. Überhaupt ist die Vermittlung von „Stoff“ nicht das wesentliche Anliegen anthroposophischer Pädagogik. Vielmehr geht es im Kern um etwas ganz Anderes, viel Tieferes. Rudolf Steiner hat diesen innersten Impuls seiner Pädagogik im August 1919 in dem kleinen Kurs „Die Erziehungsfrage als soziale Frage“ besprochen. Dort sagte er:
„Man muss mit dem Bewusstsein unterrichten, dass man eigentlich bei jedem Kinde eine Rettung zu vollziehen hat, dass man jedes Kind dahin bringen muss, im Lauf des Lebens den Christus-Impuls in sich zu finden, eine Wiedergeburt in sich zu finden.“
Das bedeutet, dass die Schule eine Vorbereitung darauf sein soll, ja sein muss, dass ein Mensch im Lauf seines Lebens ein unzerstörbares Geistiges in sich entdecken kann. Aber dazu müssen die Lehrerinnen und Lehrer wissen, worum es eigentlich geht. Gerade durch diesen innersten, christlich-esoterischen Impuls und Auftrag unterscheidet sich die anthroposophische von anderen alternativen Pädagogiken.
Jost Schieren hat viel für die Waldorfpädagogik getan, und doch gehört er tragischerweise zu einer Gruppe tonangebender Persönlichkeiten, die systematisch an ihrer geistigen Entkernung arbeiten – vielleicht aus gut gemeinten Motiven. Es sollten sich deshalb auch diejenigen Menschen äußern und verbinden, die auch weiterhin auf der Suche nach dem innersten spirituellen Leben dieser Pädagogik sind.
Foto: Suzie Blackman / Unsplash



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