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BIANCA HÖLTJE: FREIE SCHULEN

Erfahrungen mit Gründungsinitiativen - Teil 1




Bianca Höltje war eine sehr interessante und inspirierende Gesprächspartnerin. Sowohl aus ihrer Schulleitungstätigkeit als auch durch ihre pädagogische Arbeit an Regelschulen bringt sie reiche Erfahrung, auch im Umgang mit Behörden mit. Sie gibt Einblicke in das aktuelle Bildungssystem, macht deutlich, wo es seine Grenzen erreicht hat, aber auch wie freie Schulen eine Möglichkeit sind, neue Wege in der Bildungslandschaft zu beschreiten. Sie benennt Chancen und Hürden, die auf die Gründungswilligen zukommen. Ihre Liebe zu Menschen und Kindern waren während des Gesprächs immer präsent.


Bianca, Du warst früher Direktorin einer Grundschule und berätst inzwischen bundesweit Gründungsinitiativen für freie Schulen. Wie kam es dazu, dass Du von der Grundschullehrerin zur Beraterin für freie Schulen geworden bist? Ich war schon immer mit ganzem Herzen Pädagogin und habe gerne als Lehrerin in der Grundschule gearbeitet, schließlich als Rektorin in Niedersachsen. Im Zuge der Coronamaßnahmen bin ich aus der Schule ausgestiegen und habe viele Kontakte knüpfen können. Viele Menschen waren gerade während der Coronamaßnahmen unzufrieden damit, dass viele Schüler nicht so aufgefangen werden konnten, wie es eigentlich nötig war. Über diese Kontakte kamen irgendwann Schulgründungsinitiativen auf mich zu und fragten: Kannst du uns nicht unterstützen, du bist doch Schulleitung! Im ersten Moment habe ich gedacht: Nein, mit freien Schulen habe ich so gar nichts am Hut. Ich kenne mich überhaupt nicht aus und habe mich erstmal auf die Reise begeben und freie


Die Behörde sagt: Im Erlass steht das und das drin, so arbeitet die staatliche Schule. Ob das dann den Tatsachen entspricht oder nicht ist egal. Bianca Höltje

Schulen besucht. Das würde ich auch jedem empfehlen, sich einfach mal umzuschauen. Ich habe dann eine Schulerfahrungswoche auf Schloss Tempelhof mitgemacht und mir eine Woche die freie Schule von innen angeschaut,i danach habe ich noch weitere Schulen besucht.


Auf diese Weise konnte ich mich nach und nach einarbeiten und bin zur Beraterin von Schulgründungsinitiativen geworden. Ich merke, wie hilfreich meine 20 Jahre Erfahrung im Umgang mit Behörden sind, aber auch meine praktischen Erfahrungen durch die Arbeit in der Schule. Ich bringe die Qualifikationen mit, die einer Schulgründungsinitiative oft fehlen, denn meist sind es Eltern, die eine Vision haben. Sie wünschen sich für ihre Kinder etwas anderes und stehen dann vor der Schulbehörde. Ich versuche mit den Mitarbeitern der Behörden in Kontakt zu treten und das Gespräch zu suchen, damit die Initiativen die Hilfen bekommen, die sie für das Genehmigungsverfahren brauchen.


Eine freie Schule wird genehmigt, wenn ein besonderes pädagogisches Interesse vorliegt. Das heißt, die Schule muss in ihrem Konzept darlegen, was das Innovative, was das Besondere ist. Da gilt es professionell mit der Behörde zu argumentieren, um die Genehmigung zu bekommen. Es geht darum darzulegen, was das Besondere an der Freien Schule ist, etwas, das die staatlichen Schulen eben nicht bieten, was die Freie Schule aber bieten kann.


Die Menschen in Gründungsinitiativen haben in der Regel. nur die Erfahrungen aus ihrer eigenen Schulzeit oder aus der Schulzeit ihrer Kinder. Sie gehen davon aus, dass die staatliche Schule so ist, wie sie sie selbst erlebt haben. Aber das ist ein Trugschluss! Zur staatlichen Schule gehören auch Erlasse und Vorgaben, und die sind oft innovativer als wir es dann tatsächlich erleben. Dazwischen gibt es eine große Diskrepanz, die spielt aber für das Genehmigungsverfahren keine Rolle. Die Behörde sagt: Im Erlass steht das und das drin, so arbeitet die staatliche Schule. Ob das dann den Tatsachen entspricht oder nicht ist egal.


Welche Wünsche oder Erwartungen haben denn Menschen an eine freie Schule, was hast du diesbezüglich erlebt? Was sind zentrale Bedürfnisse der Eltern?


Also die Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder selbst bestimmen können, wann sie etwas lernen und frei sind von Beurteilungen. Also, ich würde mal sagen, dass 80% der Schulgründungsinitiativen, vielleicht sogar 90% in ihrem Konzept selbstbestimmte Arbeitsformen verfolgen, außerdem Naturpädagogik und Wildnispädagogik in Kombination mit Draußen-Unterricht. Das kann ich gut nachvollziehen, weil das genau die konträre Bewegung zu dem ist, was wir in den staatlichen Schulen erleben. In der staatlichen Schule haben wir seit 25 Jahren immer mehr Vergleichbarkeit durch Kompetenzraster, Kompetenzorientierung, Bildungsstandards, IGLU-Studie, Pisa-Vergleich etc.

Und jetzt kommen die Schulgründer, die sagen, und wir gehen nun komplett in die andere Richtung: Draußen lernen, mit allen Sinnen lernen, handlungsorientiert, ohne Selektion, ohne Druck, ohne Vergleichbarkeit. Bianca Höltje

Vergleichbarkeit auf allen Ebenen wird immer wichtiger. Gleichzeitig haben wir aber auch Bestrebungen, die die Schulentwicklung in Richtung Inklusion, Individualisierung, Orientierung an den Lernvoraussetzung, vorantreiben, weil die Heterogenität in den Klassen immer mehr zunimmt. Es funktioniert aber nicht beides. Wenn ich auf der einen Seite Vergleichbarkeit und Selektion verfolge, kann ich nicht auf der anderen Seite individualisierte Arbeitsformen konsequent umsetzen. Es passt nicht zusammen. Wenn ich immer mehr Vergleichbarkeit herstelle, übe ich immer mehr Druck auf die Schüler aus,

Also, wenn Eltern eine Schul-Vision haben, ist es wichtig, einen Lehrer mit heranzuziehen. Einen Lehrer, der weiß, wie Schule funktioniert. Meine Erfahrung ist, dass bei den Gründern oft das pädagogische Handwerkszeug fehlt. Bianca Höltje

dann haben wir die Selektion, die insofern zunimmt, als dass wir in den meisten Bundesländern nur noch ein - ich spitze es mal zu – Zweiklassen-System. haben Entweder du schaffst es auf dem Gymnasium oder du schaffst es nicht. Das übt natürlich noch mehr Druck auf die Familien aus, und die Eltern versuchen, mit ihren Kindern einfach aus diesem System auszusteigen und zu sagen: Nein, wir wünschen uns für unsere Kinder, dass sie ohne diesen Druck aufwachsen, dass sie natürlich aufwachsen, sich frei entfalten und entwickeln können. Und dass darauf geschaut wird, was sie gut können.


Als Nächstes haben wir das Thema der Digitalisierung, die durch Corona richtig Fahrt aufgenommen hat, was ich auf der einen Seite auch wirklich toll finde, weil es innovative Arbeitsformen ermöglich. Die Digitalisierung hat auch positive Seiten, aber in der Grundschule zum Beispiel ist sie völlig fehl am Platz, weil Kinder durch einen Bildschirm nur Informationen aufnehmen können. Sie brauchen aber sinnliche Erfahrungen, sie müssen rausgehen, sie brauchen den Kontakt zu Menschen, die Beziehung, die Bindung, sie müssen anfassen, berühren können und mit allen Sinnen erleben. Das alles haben sie am PC nicht, deshalb gehört für mich die Digitalisierung nicht in die Grundschule.


Und jetzt kommen die Schulgründer, die sagen, und wir gehen nun komplett in die andere Richtung: Draußen lernen, mit allen Sinnen lernen, handlungsorientiert, ohne Selektion, ohne Druck, ohne Vergleichbarkeit. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Ich wünsche mir das auch für unsere Kinder, für die Schüler, und gleichzeitig ist das aber auch der Knackpunkt im Genehmigungsverfahren.


Also, wenn Eltern eine Schul-Vision haben, ist es wichtig, einen Lehrer mit heranzuziehen. Einen Lehrer, der weiß, wie Schule funktioniert. Meine Erfahrung ist, dass bei den Gründern oft das pädagogische Handwerkszeug fehlt. Deshalb ist es ganz, ganz wichtig, dass von Anfang an auch Lehrer mit dabei sind, die wissen, wie man diese selbstbestimmten Arbeitsformen umsetzen kann, denn die Behörde hört bei selbstbestimmtem Lernen Willkür

Wenn eine Initiative überzeugend auftritt und professionell arbeitet, bekommt sie auch die Genehmigung. Bianca Höltje

heraus, d.h. die können in der Schule machen, was sie wollen, da gibt es keine Verbindlichkeiten. Das ist aber falsch verstanden!


Ich bin zu 100% davon überzeugt, dass in der Behörde Menschen sitzen, die dasselbe Ziel verfolgen, nämlich eine gute Schullaufbahn für die Kinder dort vor Ort. Wenn eine Initiative überzeugend auftritt und professionell arbeitet, bekommt sie auch die Genehmigung.


Das Gespräch wird in der nächsten Ausgabe fortgesetzt

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